Führung - Du musst an DIR arbeiten!
„Das Problem ist immer am anderen Ende der Leine!“ „Deine Unsicherheit überträgt sich auf deinen Hund!“ „Führ deinen Hund einfach selbstbewusst und bestimmt durch die Situation, dann klappt das auch!“
Wer hätte diese und ähnliche Ratschläge noch nicht gehört, wenn es um die Frage geht, wie man einem unsicheren, ängstlichen, reaktiven Hund helfen kann?
Sie sind buchstäblich in aller Munde, dabei sind sie vor allem eines: Unfair.
Sie sind unfair dem Menschen gegenüber.
Wenn es möglich wäre, zu beschließen „ab heute bin ich selbstbewusst!“, dann wäre ganz sicher niemand von uns unsicher – so dermaßen angenehm ist das für den Menschen selbst ja auch nicht. Wir könnten uns dann entscheiden, vor wichtigen Terminen nicht nervös zu sein. Und einfach mal keine Prüfungsangst zu haben. Wäre das nicht wunderbar?
Natürlich können wir einfach so tun, als wären wir selbstbewusst: Tief Luft holen, Brust raus und dann geht es strammen Schrittes los!
Leider sind unsere Hunde in einem solchen Maße in der Lage, unsere Körpersprache zu deuten, dass sie auf eine solche Showeinlage niemals hereinfallen werden. Alles was wir damit erreichen, ist, dass wir unglaubwürdig wirken. So schaffen wir ganz sicher kein Vertrauen.
Besonders arg treffen Ratschläge wie diese solche Menschen, denen es schon passiert ist, dass ihr Hund für sie völlig überraschend große Angst oder womöglich Aggressionsverhalten gezeigt hat. Die waren bis dahin völlig entspannt und mussten die Erfahrung machen, dass sie aus (jedenfalls für sie) heiterem Himmel plötzlich ein Problem hatten. Wenn einem das einmal passiert ist, dann kann es sich jederzeit wiederholen … und man weiß nie, wann … Dann traut man sich gar nicht mehr, sich zu entspannen (in solchen Fällen übrigens sind TrainerInnen eine große Hilfe, die mit dem Menschen analysieren, was genau der Grund für die Reaktion des Hundes war).
Sie sind unfair dem Hund gegenüber.
Hand aufs Herz: Vor irgendwas haben wir alle Angst, oder?
Bei mir sind es unter anderem Spinnen. Mit kleinen Exemplaren, oder solchen, die glaubwürdig versichern, artig in ihren Netzen sitzen zu bleiben, komme ich klar, aber wenn eine handtellergroße Vertreterin ihrer Art über die Zimmerwand rennt, dann ist dieses Zimmer zu klein für uns beide!
Ich kenne Menschen, die das vollkommen kalt lässt. Die bleiben absolut entspannt, während ich Schnappatmung kriege, meine Füße auf dem Sofa unter mich ziehe und das Monster wie hypnotisiert anstarre. Und was soll ich sagen? Das hilft mir kein bisschen!
Die sollen, wenn sie das doch können, bitte bitte bitte diese Spinne aus dem Zimmer befördern! DANN ist mir geholfen!
Richtig ist, dass ich meinem Hund keine große Hilfe bin, wenn ich mit ihm nervös, unsicher oder gar panisch werde. Aber die bloße Tatsache, dass ich keine Angst habe, hilft ihm auch nicht.
Aber man muss sich doch mit seinen Ängsten konfrontieren!
Muss man? Wenn ich Angst in Aufzügen habe und deswegen zu dem Schluss komme, dass Treppensteigen sowieso viel gesünder ist, dann ist das doch vollkommen in Ordnung!
Wenn meine Ängste mich allerdings in meinem Alltag zu behindern beginnen, sollte ich mir Hilfe suchen.
Und genau darin liegt der Unterschied zwischen Menschen und Hunden: Menschen entscheiden selbst, was sie wollen und was nicht. Wenn ich mich zum Beispiel zu einer Konfrontationstherapie entschließe, dann ist das meine Entscheidung und ich weiß, was da auf mich zukommt. Ich werde dabei außerdem von jemandem begleitet, der dafür ausgebildet ist, genau das zu tun.
Konfrontiere ich einen Hund mit seinen Ängsten, entscheide ich über ihn und er weiß nicht, warum ich ihm das zumute. Hinzu kommt, dass Menschen in der Lage sind, zu reflektieren: Ich kann mir hinterher sagen „okay, das war schlimm, ich hatte eine Panikattacke, aber tatsächlich ist mir nichts passiert!“. Hunde können das nicht, deren Verständnis endet bei „das war schlimm!“. Beziehungsweise bei „Das war schlimm, mein Mensch hat mich in diese Lage gebracht und er hat mir nicht geholfen.“ ...
Solange wir Kinder sind, treffen andere solche Entscheidungen für uns, sonst wären vermutlich viele von uns nicht zur Schule gegangen. Allerdings gibt es eine gesellschaftliche Übereinkunft, dass Eltern ihre Kinder zur Schule schicken müssen. Auch hier haben die Menschen, die die Kinder dann unterrichten, die entsprechende Ausbildung.
Und schon Kinder sind in der Lage, Eltern und Lehrer/innen deutlich zurückzumelden, dass sie mit ihrer Situation nicht zufrieden sind.
Neben meiner kleinen Spinnenphobie leide ich auch an Höhenangst und die fand ich irgendwann so hinderlich, dass ich beschlossen habe, sie zu bekämpfen, indem ich mich zu einem Kletterkurs angemeldet habe. Der Mensch, der diesen Kurs geleitet hat, war Bergführer und hatte eine Menge Erfahrung. Obwohl ich seine erste „Angstpatientin“ war, hat er meine Ängste sehr ernst genommen. Als erstes haben wir gelernt, wie man sich und andere sichert, damit war vom Kopf her schon mal klar, dass man nicht abstürzen würde. Wir haben außerdem vereinbart, dass ich IMMER SOFORT abgeseilt würde, wenn ich Angst bekäme – bei einer dieser Gelegenheiten musste ich beschämt feststellen, dass ich erst anderthalb Meter geklettert war …
In der Kletterhalle kam ich ganz gut klar: Glatte Wände mit bunten Nuppies lassen einfach sehr viel weniger Kopfkino entstehen, als echte Felsen. Als die drankamen, habe ich mich von „Bergherbert“ abseilen lassen, ohne mich dabei am Seil festzuklammern (was blödsinnig ist, weil es nichts nutzt, aber es ist trotzdem ungeheuer schwer, es loszulassen) – aber auch nur von ihm. Ich hatte Vertrauen gefasst. Und tatsächlich bin ich einen 25 Meter hohen Naturfelsen hochgeklettert! Als er mich im Jahr darauf gefragt hat, ob ich Lust habe, mit ihm auf einen Viertausender zu steigen, habe ich ja gesagt.
Höhenangst habe ich immer noch, aber ich weiß jetzt, dass ich mit Hilfe eines kompetenten Menschen, dem ich fest vertraue, sehr viel mehr hinkriege, als allein.
Das kann man auch mit Hunden machen und wenn es gelingt, dann ist das einer der ganz großen Momente im Zusammenleben mit einem Hund.
Es setzt aber voraus, dass mein Hund felsenfest darauf vertraut, dass ICH kompetent bin! Und dass ER entscheidet, sich darauf einzulassen.
Oskar hat über Jahre gelernt, dass auf mich Verlass ist:
- Ich bringe ihn nicht in Situationen, die ihn überfordern.
- Wenn ich sehe, dass er Distanz braucht, laufen wir einen Bogen.
- Falls ihm etwas gefährlich scheint, gehe ich alleine voran und überprüfe die Situation – wenn er anschließend mag, kann er mit mir gemeinsam ebenfalls gucken gehen.
- Wenn er an der Leine ist, beschütze ich ihn und sorge dafür, dass ihm niemand zu nahekommt.
Auch wir hatten unseren großen Moment in den Bergen: Eine Hängebrücke.
Die fand Oskar extrem gruselig (ich – ehrlich gesagt – auch!). Ich habe ihn (schon zu seiner Sicherheit) an die Leine genommen und ihn dann eingeladen, mir über die Brücke zu folgen. Und das hat er auch getan. Er war sehr klein in diesem Moment und ich konnte die ganze Zeit seine Nase an meiner Wade spüren. Aber er ist an entspannt durchhängender Leine mitgegangen. Das war SEINE Entscheidung! Er hat sich darauf verlassen, dass mit mir zusammen schon alles gut gehen würde und wurde in dieser Erwartung ein weiteres Mal bestätigt. Danach waren Hängebrücken kein Thema mehr.
Auch in unserem Fall hatte also ein Mensch mit entsprechender Ausbildung nach langer und gründlicher Vorbereitung seinen Schützling MIT dessen Einwilligung durch eine bedrohliche Situation geführt.
Als Tipp unter Hundehalter/innen schnurrt all das auf „Du musst den da einfach selbstbewusst durchführen!“ zusammen und so sieht man immer wieder Menschen ihre widerstrebenden Hunde in Situationen bringen, mit denen diese vollkommen überfordert sind.
Und im allerschlimmsten Falle funktioniert das auch: Nämlich dann, wenn der Hund aufgibt. Wenn er so gründlich die Erfahrung gemacht hat, dass er selbst nichts tun kann und auch sein Mensch ihm nicht helfen wird, dass er gar nicht mehr reagiert. Das feiert der Mensch dann als schönen Erfolg, aber für den Hund ist es eine Katastrophe.
Das macht diesen Tipp so dermaßen gefährlich …
Iris Blitz
Hundetrainerin
Lebt heute mit Australian Shepherd Oskar und drei arbeitenden Pyrenäenberghunden auf einem Kastanienhof in Südfrankreich.
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