Antijagdtraining (AJT) geht das überhaupt?
Sam war ein Beagle und wahrscheinlich der pflegeleichteste Hund, der jemals bei mir gelebt hat. Er mochte alle Menschen, gleich ob groß oder klein, er konnte mit allen fremden Hunden, er ging völlig unbeeindruckt mit in die Stadt, hatte keine Angst vor jeglicher Art von Geräuschen, war schnell stubenrein, mochte Besuch, hatte keine territorialen Ansprüche...der perfekte Hund...nur eben doch nicht ganz!
Wenn Sam's Nase sagte, da riecht es, dann war buchstäblich Ende im Gelände! Nase zum Boden, Schwanz nach oben, und ab war der Beagle. Ich stand dann da, hörte wie sich der wunderbar laute Spurlaut von Sam immer weiter entfernte und hoffte und bangte, dass er hoffentlich Stunden später zurückkehren würde.
Und weiter bin ich damals auch nie gekommen. Nun ist Sam, der „kleine Bruder“ meiner Tochter, vor einigen Jahren im stattlichen Alter von uns gegangen, und eines war klar, bitte kein Jagdhund mehr.
Dann kam Balou, ein „Schäferhund...man weiß nicht was“ Mix, (ja ihr habt eh Recht) und alles sollte anders werden.
Balou ist in vielen Bereichen ein Sam in groß und er hat wahrscheinlich mindestens genau so viel Jagdinstinkt.
Und warte ich immer noch stundenlang, ob der Hund vielleicht wieder kommt?
Nein, zum Glück nicht!
Nur unser Weg war und ist noch immer nicht zu Ende.
Ergo erst mal die schlechte Nachricht!
Jagen ist etwas genetisch festgelegtes, etwas das grundsätzlich in unseren Hunden verankert ist, in unterschiedlich starker Ausprägung, ganz klar, aber halt auch etwas das man nicht einfach so wegmachen kann.
Nun die gute Nachricht!
Das heißt nicht, oh mein Hund hat Jagdinstinkt, da ich kann nix tun!
Wir Hundehalter können sehr viel tun und dadurch erreichen, dass auch jagdlich hochinteressierte Hunde lenkbar werden.
Und wie so häufig, eigentlich sollte ich hier wohl schrieben, immer, heißt das Zauberwort, positives Training.
Wie das?
Nun ohne kleinen Ausflug in die Theorie geht es hier wohl wirklich nicht, aber ich verspreche, ich mach es kurz.
Jagen ist, objektiv betrachtet eine Sequenz die sich aus vielen unterschiedlichen Teilen zusammen setzt, die alle für den Hund selbstbelohnend sind!
- Orientierung – bedeutet Hund wägt erst mal ab, ob das Objekt/der Geruch jagdlich interessant ist.
- Beobachtung/Fixieren – Hund hat beschlossen, das interessiert mich, da kümmere ich mich drum, d.h. aber nicht ich stürme kopflos los
- Anschleichen – erste langsame Schritte Richtung Objekt der Begierde
- Hetzen – nun folgt Hund im Schweinsgalopp dem „Opfer“
- Fassen/Töten/Verspeisen – die Beute ist gestellt und wird nun eben im Zweifelsfall auch verspeist
Und jetzt?
Und jetzt liegt es an uns zu entscheiden, ob wir unseren Hunden zugestehen wollen Teile dieser Jagdsequenz ausleben zu dürfen.
Wie jetzt ich soll einen Hasen, ein Reh opfern?
Nein!!! Ganz bestimmt nicht. Aber als Halter jagdlich interessierter Hunde tun wir gut daran uns davon zu verabschieden, dass man Jagdinstinkt einfach wegmachen kann.
Aber lenken können wir ihn, und zwar in Bahnen die für Hund und Halter das Leben gut machen. Und da kommt es uns dann auch wieder zu Gute, dass Jagen selbstbelohnend ist, das bezieht sich nämlich logischerweise auf alle oben angeführten Sequenzen.
Ich habe für mich beschlossen, dass es für Balou, die zu jagenden Tiere und mich durchaus in Ordnung geht wenn Balou, diese als interessante Objekte erkennt und sie auch anzeigt, sprich beobachtet. Alles weitere (anschleichen, hetzten und töten) will ich nicht.
Ergo im Zweifelsfall erst mal absichern mit Geschirr und Schleppleine, solange ich nicht wirklich sicher weis, es klappt alles so wie es sollte und dann? Markern, und zwar jegliches im jagdlichen Sinne interessierte Verhalten, das uns gefällt.. Die Nase in den Wind halten, beim Spaziergang in den Apfelplantagen, das genaue reinschauen in alle Reihen (ja da gibt es Hasen noch und nöcher...) das Sehen von Hasen, ohne gleich los zu spurten (da ist Timing gefragt, keine Frage), das alles ist Verhalten, das mir gefällt.
Also wird dies auch gemarkert bzw.bestätigt, belohnt und sogar mit einem Wort belegt.
Warum, nun erst mal erreiche ich damit, dass das Verhalten öfter bzw. länger gezeigt wird.
Im Klartext – Balou sieht einen Hasen, und schaut, und schaut, und schaut......ich habe dadurch alle Zeit der Welt! Ich kann ihn fürs Schauen bestätigen und da das Teil der Jagdsequenz ist, ist es per se schon mal belohnend. Ich kann ihn in aller Ruhe zu mir rufen, und ihm eine Alternative anbieten, ich habe einen Hund, der trotz jagdlicher Motivation ansprechbar und lenkbar ist.
Nun fragt sich der eine oder die andere sicherlich, eine Alternative anbieten?
Den Hund rufen, und dann kriegt er ein Leckerlie? Jein? Gutes Training, und Training mit jagdlich motivierten Hunden muss gut sein, wenn es erfolgreich sein soll, heißt Verstärker sinnvoll, funktional und sorgfältig auswählen.
Ein Keks für einen Hasen? Ich behaupte mal, keine so gute Wahl. Aber ein gut gefüllter Futterdummy, dem Hund hinterherhetzen darf/den der Hund suchen muss, kann durchaus eine sehr passende Alternative sein.
Hier ist Kreativität gefragt und gute Beobachtungsgabe, was möchte unser Hund im Moment eigentlich gerne tun, was kommt diesem Verhalten nahe und kann deshalb ein guter funktionaler Verstärker sein? Mag er schnüffelnd einer Geruchsspur folgen, möchte er hetzen, buddeln, ,.....?
Hier eröffnet sich, bei guter Beobachtungsgabe eine ganze Welt an funktionalen Verstärkern, also Belohnungen, die eben über das Belohnen hinaus gehen, und dafür sorgen, dass Hund das Verhalten immer öfter und zuverlässiger zeigen wird.
In diesem Zusammenhang wird dann wohl auch verständlich, wenn ich sage, geh doch gemeinsam mit deinem Hund auf die Jagd. Ihr könnt gemeinsam Spuren kontrolliert verfolgen, Wildtiere beobachten. Gar manches Mal, wirst du diejenige von euch sein, der es zuerst gelingt, den „Hasen“ zu sehen, und das dann auch deinem Partner auf vier Pfoten mitteilst.
Dann könnt ihr gemeinsam beobachten, und das Gefühl erleben, wie das so ist wenn man ein gutes Team ist, wo sich der eine auf den anderen verlassen kann.
Natürlich ist es auch sinnvoll „Ersatzbeschäftigungen“ anzubieten. Dazu gehört jegliche Form der Nasenarbeit wie Dummytraining, Mantrailing, Fährten, aber auch Suchspiele zu Hause, Zielobjektsuche, Buddeln und wenn dein Hund körperlich fit ist und ein guter Sichtjäger auch mal eine Runde Disc Dog oder Treibball,....
All diese Beschäftigungen erlauben es deinem Hund, seine Sinne und Instinkte gezielt einzusetzen, sie lasten aus, sind geistig bzw. körperlich anspruchsvoll und machen Hund glücklich. Dabei lernt ihr Beide zudem ganz nebenbei die Instinkte besser zu kontrollieren und im Zweifelsfall ansprechbar zu bleiben.
Last but not least geht nichts über einen sicheren Rückruf. Ja klar das gilt natürlich nicht nur für jagdlich motivierte Hunde, aber da hat der Rückruf sicher nochmal eine besonders wichtige Bedeutung. Wenn du weist, dass du deinem Hund im Notfall auch aus dem Hetzen heraus zu dir zurück rufen kannst, hast du einfach ein Ass mehr im Ärmel. Ich empfehle hier den doppelten Rückruf und verweise da gleich an den Artikel der sich nur mit diesem Thema beschäftigt, weil das hier sonst einfach den Rahmen sprengen würde.
Und dann ist da noch deine Haltung.
Du hast einen jagdlich motivierten Hund und das wird sein ganzes Leben lang so bleiben. Vielleicht wirst du immer ein bisschen Management betrieben müssen. Vielleicht wirst du auch in Zukunft in sehr wildreichen Gebieten nicht auf die Schleppleine verzichten. Vielleicht immer, vielleicht auch nur wenn du weist, dass du, weil grad die beste Freundin wichtige Neuigkeiten erzählt....., nicht mindestens eine Auge bei deinem Hund haben kannst.
Ihr werdet gemeinsam trainieren und je besser euer Training läuft, desto besser wirst du sehen können, welch tolle Leistungen dein Vierbeiner erbringt. Du wirst deinen Hund immer besser lesen können und sehen, dass es jede Menge oft winziger Anzeichen gibt, die dir und Hund sagen: "Da ist was!"
Und wenn dir das gelingt, dann weist du auch sicher welche Leistungen dein Hund erbringt, wenn er seinem Instinkt nicht sofort nachgibt, wenn er bei dir bleibt wenn er geduldig „sagt“ - "du schau da vorne, da ist der Hase, kannst du ihn auch endlich sehen."
Zusammenfassend bedeutet für mich gutes Training mit jagdlich motivierten Hunden:
- verstärken der Jagdsequenzen die erwünscht sind
- Arbeit mit funktionalen Alternativen
- sinnvolle „Ersatzbeschäftigungen“ anbieten (Dummyarbeit, Suchspiele, Buddeln usw.)
- an einem sicheren Rückruf arbeiten
- sich davon verabschieden, dass man mit einem Hund mit hoher jagdlicher Motivation, durch wildreiches Gebiet schlendern kann, ohne dabei mindestens ein Auge beim Hund zu haben!
In diesem Sinne, nein AJT gibt es nicht, aber viele Möglichkeiten den Jagdinstinkt unseres Hundes in Bahnen zu lenken, die das gemeinsame Leben angenehm für Hund und Halter machen.
In diesem Sinne wünschen Balou und ich,
Viel Spaß beim Training!
Du möchtest mehr zu dem Thema wissen, dann hab ich hier noch ein paar Vorschläge:
Antijagdtraining – wie man Hunde vom Jagen abhält – Pia Gröning und Ariane Ullrich, MenschHund Verlag
Antijagdtraining des Lehrvideo zum Buch – Pia Gröning und Ariane Ullrich, MenschHund Verlag
Spiele und Action für Jagdhunde: Retriever, Weimaraner, Beagle und Co. rassegerecht beschäftigen – Pia Gröning, Ulmer Verlag
Das große Schnüffelbuch: Nasenspiele für Hunde (Das besondere Hundebuch) – Viviane Theby, Kynos Verlag
Verstärker verstehen: Über den Einsatz von Belohnung im Hundetraining (Das besondere Hundebuch) – Viviane Theby, Kynos Verlag
Dr. Christine Kompatscher
Fachberaterin für tiergestützte Interventionen, Hundetrainerin, hypnosystemischer Coach, Zaubertherapeutin®
Arbeitet als Sozialpädagoging und Coach, mit Hilfe ihrer Hunde, mit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen, denen sie beratend und unterstützend zur Seite steht.
http://www.friends.bz.it