Hunde aus dem Auslandstierschutz Teil IV
IV Am Anfang lief alles prima!
Ein Hund, der in eine neue Familie aufgenommen wird, benötigt etwa drei bis vier Wochen um sich in dieser vorläufig zu orientieren: Wer gehört alles dazu? Wer darf was? Was sind die offensichtlichen Spielregeln?
Nach drei bis vier Monaten ist er angekommen: Er hat eine Vorstellung davon, was er selbst in der Familie kann, muss und darf, und beginnt, sich entsprechend zu verhalten.
In den ersten Wochen geben Hunde sich häufig ausgesprochen unauffällig und „pflegeleicht“ - zunächst einmal wird beobachtet.
In den nächsten Monaten versuchen sie, ihren Platz in dieser Konstellation zu finden und auszufüllen.
All das hat genau nichts mit irgendeinem Herrschaftsbedürfnis zu tun!
Sind Sie einmal von ihrer Partnerin oder ihrem Partner deren bzw. dessen Familie „vorgestellt“ worden?
Anfangs haben Sie sich garantiert die allergrößte Mühe gegeben, durch untadeliges Benehmen zu gefallen und nirgendwo anzuecken. Schon kurze Zeit später wissen Sie, wo unter dem Vorzeichen familiärer Gemütlichkeit Nachsicht waltet: Im Eifer des Gefechtes wird dann doch mal der Ellbogen auf den Tisch gestützt, oder mit der Gabel in der Hand gestikuliert. Und niemand mißbilligt ein Aufstoßen, so lange es leise ist.
Einige Zeit später wissen Sie auch, wer wo seine wunden Punkte hat. Über wen und was Sie Witze reißen dürfen und wann Sie besser den Mund halten.
Weil Sie den Platz des Familienoberhauptes anstreben?
Sicher nicht. Sie versuchen einfach nur, gemäß der von Ihnen erkannten Spielregeln mitzuspielen.
Und in dem Maße, in dem Sie diese erkannt zu haben meinen, werden Sie Verhaltensweisen zeigen, die die anderen so noch nicht kennen. Man könnte auch sagen: Sie legen Ihre Hemmungen ab.
Nach jeweils drei bis vier Wochen bzw. Monaten lässt sich bei Hunden, die neu in eine Familie kommen, erfahrungsgemäß also eine Verhaltensänderung feststellen. Häufig eine zum Negativen hin, aber das mag daran liegen, dass positive Entwicklungen gerne für selbstverständlich genommen werden, während negative sich tief ins Gedächtnis eingraben. Und niemand konsultiert eine/n TrainerIn, wenn alles gut läuft ...
Bei Hunden aus dem Auslandstierschutz nun, können diese Phasen um einiges länger dauern, weil sie sehr viel mehr neue Eindrücke zu verarbeiten haben. Etliche Reaktionen werden außerdem über lange Zeit durch ihre Ängste gehemmt. Aber dann kommt der Tag, ab dem der Hund sich plötzlich ganz anders verhält.
„Zu Anfang lief alles ganz prima!“, heißt es dann, und dann hat er plötzlich angefangen, Menschen zu verbellen, andere Hunde zu attackieren ...
Auch wenn Sie sich das so nicht vorgestellt haben – eigentlich ist es eine gute Nachricht: Ihr Hund kommt an, er verliert seine Hemmungen und beginnt, authentisch zu reagieren.
Situationen, die ihn überfordern, oder ihm schlicht unangenehm sind, werden nun nicht mehr still erduldet, sondern er tut seinen Unmut kund. Möglicherweise haben sie „leisere“ Äußerungen von Unbehagen und Angst übersehen oder nicht als solche erkannt und er muss nun deutlicher werden.
Da seine Reaktionen nicht nur für Sie, sondern in erster Linie für Ihren Hund außerordentlich unangenehm sind, ziehen Sie bitte spätestens jetzt eine/n TrainerIn hinzu!
Was kann ich tun, damit es gar nicht erst soweit kommt?
Sie können nicht im Vorhinein wissen, was Ihr neues Familienmitglied überfordern und ängstigen wird. Und wenn Sie nicht sehr geübt darin sind, das Befinden von Hunden an ihrer Körpersprache abzulesen, kann es schwierig sein, dies einzuschätzen.
Es gibt jedoch eine Liste von „üblichen Verdächtigen“, von Situationen, die erfahrungsgemäß vielen Hunden Probleme bereiten.
Dazu zählen unter anderem:
- ein Übermaß an Reizen
- Mangel an Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten
- Angst vor lauten Geräuschen
- Angst vor unbekannten Gegenständen bzw. Situationen
- Angst vor Menschen, Unbehagen, wenn fremde Menschen zu nahe kommen bzw. den Hund anzufassen versuchen
- Unbehagen und Unsicherheit beim Kontakt zu fremden Hunden
Bewahren Sie ihn einfach davor:
Bieten Sie ihm all die Hilfestellung an, die ein Hund mit Unsicherheiten und Ängsten benötigt. Regeln Sie seine Kontakte zu anderen Menschen und Hunden.
Überflüssig ist das nie, bei keinem Hund, ganz egal, woher er stammt.
Sollten Sie nach einiger Zeit feststellen, dass er ganz prima ohne Ihre Hilfe klarkommt, hat er immerhin gelernt, wo er diese bekommen kann, falls es doch einmal nötig sein sollte.
Dann haben Sie gute Chancen, dass die Überraschungen, die Sie erwarten, wenn er ankommt, erfreulich sein werden.
Iris Blitz
Hundetrainerin
Lebt heute mit Australian Shepherd Oskar und drei arbeitenden Pyrenäenberghunden auf einem Kastanienhof in Südfrankreich.
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