Sind Molosser und Herdenschutzhunde besonders schwierig?

Molosser und Herdenschutzhunde fallen als Gruppen besonders dann auf, wenn irgendjemand folgende Dinge behauptet:

„Man kann nicht jeden Hund mit Leckerli trainieren“

„Die brauchen eine harte Hand“

„Mit Wattebauscherl kommst nur weiter solange du keinen HSH/Molosser vor dir hast“

„Ein HSH ist nichts für Anfänger“

„Die brauchen Haus/Hof und einen riesen Grund zum Bewachen“

Usw

Doch stimmt das überhaupt?

Schauen wir uns dazu doch mal ein bisschen in diesen beiden Gruppen um.

Der Herdenschutzhund

Diese Gruppe von Hunden wurde dafür gezüchtet (oft gar nicht so sehr absichtlich sondern zufällig beim Wandern mit Schafherden) eine Herde zu verteidigen.

Manche sollten das allein und immer am selben Ort machen.

Manche sollten auch mit Schäfern von Weide zu Weide ziehen.

Doch was ist dieses „Herde schützen“ eigentlich?

Die Herde stellt für den Hund in dem Fall ein wichtiges Gut dar. Die Hunde wachsen ganz eng mit den Tieren auf (sonst klappt das nämlich mit dem Schützen nicht) und es entstehen Beziehungen.
Natürlich sind dem Hund diese Tiere dann wichtig und er verteidigt sie gegen potentielle Feinde (Mensch, Wolf, andere Räuber, je nachdem).

Kurz gesagt, es handelt sich um Ressourcenverteidigung.

Das hat allerdings einen kleinen Haken.

Hunde, die dazu neigen Ressourcen zu verteidigen, sind oft sehr kreativ bei der Auswahl einer solchen.
Hat also ein HSH keine Herde, ist das Verteidigen vielleicht trotzdem ein Thema… dann halt bei Futter, Näpfen, Spielsachen, Liegeplätzen, Grundstück, Wasser, Bezugspersonen, usw.

Wer sich also wundert, warum ein Herdenschutzhund zuhause Dinge verteidigt, findet hier eine Erklärung.

Dasselbe gilt übrigens auch bei sogenannten „Wachhunden“, also denjenigen, die zur Bewachung von Grundstücken ausgesucht wurden.
Dazu zählen wieder einige Molosser (Cane Corso, Rottweiler bedingt,…).

Doch heißt das jetzt, jeder HSH frisst Besuch, braucht Hochsicherheitsverwahrung beim Essen und lässt den Partner der Bezugsperson allein nicht mehr aus dem Wohnzimmer?

Nö.

Jeder Hund ist individuell und auch jeder HSH und jeder Molosser.

Zudem hat das Bedürfnis Ressourcen zu verteidigen auch immer eine Unsicherheits-Komponente…
Denn wenn ich mir meiner wichtigen Dinge in Gegenwart anderer (Menschen, Hunde, andere Tiere) 100% sicher bin, brauche ich sie auch nicht verteidigen 😉
Und… Ressourcen zu verteidigen ist auch ein normales Verhalten. Ich lasse mir meinen Teller während dem Essen auch nicht wegnehmen 😉


Ob und wie stark Ressourcen verteidigt werden unterscheidet sich dann auch wieder je nachdem wie die Hunde sozialisiert wurden… also welche Lebewesen sie als ungefährlich oder sogar toll kennengelernt haben.

Was wir nämlich auch nicht außer Acht lassen sollten ist, dass viele HSH sehr sensible Geschöpfe sind.

Einen Hof zum Bewachen brauchen sie übrigens auch nicht immer.

Denn nur weil sie etwas können, müssen es noch lange nicht alle ausleben…
Wir Menschen können theoretisch auch gut klettern.
Ich hab noch keinen Menschen getroffen, der depressiv wurde, weil er keine Klettergelegenheit hatte 😉

Der HSH im Tierschutz

Eigentlich sollte ja bei solchen „schwierigen“ Hunden besonders auf das richtige Zuhause geachtet werden…

Leider passiert es allerdings extrem häufig, dass HSH als knuffig flauschige Fellkügelchen unter dem Decknamen „Mischling“ vermittelt werden. Besonders als Welpen sind sie ja auch zuckersüß und die Liebe auf den ersten Blick kann nach einiger Zeit dann zum Grauen werden.
Dabei müsste das gar nicht so sein. Immerhin bieten wir Trainer so oft Beratungen für Interessenten oder auch Vereine an.

Deshalb gilt hier natürlich wie bei jedem Hund „Augen auf“.

Der Molosser

Die Molosser sind extrem zusammengewürfelt als Gruppe.

Gehen wir zB von der FCI (Internationaler Zuchtverband) aus, finden sich hier Bulldoggen, Rottweiler, Mastiffs, Cane Corsos uvm.
Allerdings keine bulligen Terrier (Staffordshire Terrier, American Staffordshire Terrier usw).
Fragt man aber ein bisschen herum, so werden verschiedenste Hunde zu den molossoiden Rassen gezählt… eigentlich alle, die besonders stark sind oder aussehen.

Genauso bunt sind auch die ursprünglichen Verwendungszwecke der Molosser.
Manche Bulldoggen wurden zB beim Umgang mit Bullen genutzt, denn sie waren kräftig, hatten eine hohe Schmerztoleranz und waren enorm engagiert bei ihrer Aufgabe.
Der Rottweiler wurde ursprünglich zB als Treibhund genutzt (vergleichbar einem Australien Shepherd) und später zum Bewachen von Grundstücken.
Mastiffs sollten im Gefecht helfen und zB berittene Gegner vom Pferd werfen.
Dogo Argentinos wurden bei der Jagd eingesetzt.
Cane Corsos sollten eigenständig Grundstücke bewachen.

Wir haben hier also alles dabei.

Leider natürlich auch diejenigen, die für Hundekämpfe missbraucht wurden.

Und manche sind nicht in der FCI-Gruppe, jedoch durchaus molossoid, wie zB die Französische Bulldogge, der Mops oder die bulligen Terrier.

Sie alle haben zwar sehr unterschiedliche Ursprünge, aber eines gemeinsam… sie sind kräftig.

Das hat den bekannteren Vertretern, gemeinsam mit den bulligen Terriern einen Platz auf den diversen unsinnigen Rasselisten eingeräumt (nicht etwa die Häufigkeit von Beißvorfällen).

Wollen wir jetzt besondere Eigenschaften (= Rassedispositionen) herausfinden müssen wir uns bei so einer Vielfalt noch mehr mit der jeweiligen Rasse beschäftigen, als bei den Herdenschutzhunden.

So würde sich ein Halter eines Rottis vielleicht weniger wundern, dass der durchaus sein Maul einsetzt (Vermächtnis des Treibhundes), vor allem beim Spielen.
Wogegen das die Mastiff-Halter eher überraschen könnte.

Aber natürlich gilt auch hier: jeder Hund ist anders und sollte ein Recht auf individuelle Betrachtung haben.

Der Molosser im Tierschutz

Molosser landen oft dann im Tierschutz, wenn gesetzliche Bestimmungen (Rasselisten) nicht erfüllt werden, Schindluder getrieben wird oder die Hunde irgendwo zu verachtenswerten Zwecken gehalten werden (Hundekämpfe, Kettenhunde, Zwinger usw).

Diese Hunde sind dann meist schlecht sozialisiert, traumatisiert und wirklich schwierig.
Doch auch sie haben schon viele Menschen glücklich gemacht und zeigen mitunter erstaunliche Veränderungen.

Welpen findet man natürlich auch und bei ihnen ist meist eindeutig, was dahinter steckt.
Es sei denn, sie werden als „Boxer-Mischlinge“ nach Deutschland gebracht, da Staff & Co nicht eingeführt werden dürfen. Das kann dann enorme Probleme für die frisch gebackenen Hundeeltern bedeuten.

Möchtest du einen Molosser aus dem Tierschutz aufnehmen, schau dir genau an, wo der herkommt, wie er gelebt und was er kennen gelernt hat.
Passt das alles zu deinem Leben?
Dann herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Traumhund 

Doch was ist jetzt mit dem Training?

Die sind doch alle stur und erziehungsresistent, oder?

Nö, absolut gar nicht.

Natürlich spielt auch hier wieder das Gemüt des einzelnen Hundes eine riesige Rolle. Was er in seinem bisherigen Leben kennenlernen und erfahren durfte, wie er körperlich beinander ist, wie mit ihm umgegangen wird, wie die Eltern waren und welcher Rasse er angehört.

Genetik und Epigenetik (Vererbung und Erfahrung) lässt sich nun mal nicht trennen.

Dennoch können wir eine Tendenz zum Grübeln in diesen beiden Gruppen feststellen.

Während andere Rassevertreter also sofort „jawohl, Sir!“ auf eine Bitte des Menschen antworten, wird ein Molosser oder HSH vielleicht eher sagen „macht das Sinn? Hast du dir das auch gut überlegt? Bringt mir das was?“.

Sie sind also eher die Denker und Beobachter der Hundewelt.

Klar, jedes Lebewesen „funktioniert“ über verschiedene Motivationen, tut also nur, was ihm sinnvoll erscheint.
Aber es gibt schon Hunde, die vor einer Aktion nochmal lieber genau nachgrübeln.

Das macht sie allerdings in meinen Augen auch so wundervoll.
Denn es gibt auch uns eine Möglichkeit mal Inne zu halten und ein wenig vom Gas zu gehen.

Und nicht nur das, viele von den Bulligen sind totale Clowns. Durch ihre geringe körperliche Empfindlichkeit für viele Späße zu haben und durchaus agil.

Ein Training mit Leckerli ist, um auf den Beginn zurück zu kommen, für die meisten durchaus lohnenswert (aus Hundesicht) und somit kein Problem.
Manchmal dürfen wir aber eben auch ein wenig kreativ sein, wenn alles drum herum mega spannend ist.

Und bei einem zu hohen Stresspegel ist auch ein Molosser oder HSH oft nicht wirklich für Futter zu haben.

Druck dagegen hat im Training auch hier keinen Platz.
Die meisten HSH reagieren darauf durch ihre Sensibilität sehr schnell und intensiv mit Gegendruck.
Und der Molosser „macht zu“… also verweigert die Kooperation. Ob man dann als Mensch wirklich Lust auf einen körperlichen „Kampf“ hat bleibt zu bezweifeln.

Macht ja auch keinen Spaß 😉

Alles in allem würde ich sagen, es ranken sich enorm viele Mythen um diese beiden Gruppen.

Die meisten davon sind schlicht weg Quatsch.

Denn egal ob du einen HSH, Terrier, Hütehund oder Molosser durchs Leben begleitest, das wichtigste für ein harmonisches Miteinander ist Verständnis und Spaß.


Autorin:

Anita Frank, geb 26.5.1990 in Wien

Staatlich geprüfte Tierschutzqualifzierte Hundetrainerin durch das Messerli Institut an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Authorisierte Kurs-Vortragende für die Wiener Sachkunde für HundehalterInnen.

Vereinsobfrau der Molosserhilfe

Gründerin der Gruppe "Hundeerziehung für Molosser und HSH"

Inhaberin von www.wattebaellchen.at & www.bravedogtrainingonline.com





Labeling Approach oder - Kleb kein Etikett auf deinen Hund!

Blog Labelkl

 

Kürzlich habe ich mich mit einer Bekannten unterhalten. Sie hat arg über ihren Hund geschimpft.

Sie sagte mir, ihre sture, dickköpfige Terrierdame wollte einfach nicht hören, als sie gemeinsam auf der Hundewiese waren. Sie habe sie gerufen, aber Bella sei einfach nicht zurückgekommen.

Schlimmer noch, sie sei sogar direkt in einem Mauseloch abgetaucht. Hilflos habe sie zusehen müssen und dabei überlegt, sie einfach aus dem blöden Loch heraus zu ziehen!

Als dann ein anderes Frauchen mit ihrem Hund auf der Wiese Ball spielen wollte und dieser beim zweiten Wurf dicht an Bella vorbei flog, schoss die Jack Russell Terrier Hündin aus dem Mauseloch, hat die Beute noch vor dem anderen Hund erwischt und ist mit dem Ball davongerannt.

Sie habe ihren dickköpfigen und sturen Terrier gerufen, jedoch ohne Erfolg. Ihre Hündin hat sogar im Zuge der Auseinandersetzung um den Ball, den anderen weggeknurrt und nach ihm geschnappt!

Meine Bekannte war entrüstet.

„Die sind einfach unerziehbar!“, führte sie an und dies hat ihr dann auch die andere Hundebesitzerin attestiert.

„Terrier halt. Stur, dickköpfig und sehr dominant! Da muss man sich schon durchsetzen!“

 

Solche und ähnliche Fälle sorgen immer wieder dafür, dass unsere Erwartungen an unseren Hund mit denen der Umwelt, die wir unsererseits gern erfüllen möchten, kollidieren: Wir haben uns einen unkomplizierten, fröhlichen Begleiter durch Dick und Dünn erhofft, unsere Umwelt erwartet, dass er niemanden beeinträchtigt, oder stört – er soll sich angemessen benehmen und vor allem „gehorchen“.

Unsere eigenen Emotionen und die Liebe für unseren Hund erhalten immer wieder kleine Dämpfer, Enttäuschung macht sich breit, wenn das Training nicht fruchtet, der Hund einfach nicht hören will! Es einfach nicht verstehen will! Dabei machen wir doch alles! Aber der ist einfach zu dickköpfig!

Aber ist das wirklich so?

 

Von Klebeetiketten und Warenausgabe

 

Fangen wir beim Begriff an: „Labeling Approach“ oder auch „Etikettierungsansatz“ ist eine soziologische Denkrichtung, die sich mit von der Norm abweichendem Verhalten beschäftigt.

Label oder Etiketten kennen wir alle. Wir finden sie auf allen Produkten, die wir kaufen können. Sie werden aufgeklebt, damit wir wissen welche Bestandteile enthalten sind und wieviel es kostet. Samt Barcode wird also jedes Produkt anhand seines Etiketts identifiziert und ausgewiesen.

Wir können dieses Produkt also jederzeit an seinem Etikett oder Label (wieder)erkennen.

Das funktioniert so hervorragend, dass wir genau wissen, was uns bei einer flachen, rechteckigen, lila Verpackung und leicht verschnörkelter Schrift erwartet, um welche Schokoladenmarke es sich handelt. Und unser Geschmacksgedächtnis sagt uns sogar genau, wie diese zu schmecken hat!

Je nachdem welches Bild auf die Verpackung gedruckt ist, wissen wir sogar, um welche Sorte es sich handelt. All das durchaus, ohne wirklich die Worte lesen zu müssen!

Der Wiedererkennungswert ist so stark ausgeprägt, dass Hersteller eventuelle Veränderungen der Verpackung in ihrer Werbung erwähnen (zumeist mit dem Hinweis auf unveränderte Qualität) oder aber nur geringfügige optische Veränderungen vornehmen, um keine Umsatzeinbußen durch irritierte Kunden zu riskieren!

Das "V" auf der Verpackung veganer Lebensmittel ist mittlerweile so weit verbreitet, dass viele vegan lebende Menschen schon gar nicht mehr auf die Produktdeklarierung schauen, sondern sich einfach auf das "V"-Label verlassen und wissen: es ist vegan!

Wir sind also sehr stark von Etiketten und Labels geprägt und orientieren uns daran, um Produkte zu erkennen und den Inhalt einzuschätzen.

Super! Und was hat das nun mit Lebewesen zu tun?

 

Von Soziologie und sturen Hunden

 

In der Soziologie wird der Etikettierungsansatz benutzt, um abweichendes Verhalten zu erklären.

Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass abweichendes oder unerwünschtes Verhalten sozial zugeschrieben wird, objektiv aber gar nicht vorhanden ist.

Hä? Aber der Hund, der ist doch stur! Der tut einfach nicht, was er soll! Obwohl er es kann und obwohl er das Rufen doch gehört hat!

Bist du dir da ganz sicher?

 

Beginnen wir mit einem Beispiel aus dem zwischenmenschlichen Bereich:

Häufig wird Menschen, deren Gewicht über einem bestimmten, willkürlich festgelegten Wert (BMI), liegt, unterstellt, sie seien unglücklich. Ob diese Menschen selbst mit ihrem Gewicht zufrieden sind und sich wohlfühlen, wird gar nicht erst gefragt.

Wenn ich einem übergewichtigen Menschen außerdem noch das Etikett "faul" aufklebe, weil ich es so gelernt habe, dann reduziere ich seine ganze Persönlichkeit und sein ganzes Selbst, all seine Probleme auf ein einziges Attribut seines Äußeren.

Nicht einmal auf sein gesamtes Aussehen, da „übergewichtig“ weder das biologische Geschlecht, noch zum Beispiel die Haare beschreibt, oder das Gesicht, die Augen, die Form der Arme ...

Dabei kann ich gar nicht wissen, ob er wirklich faul ist! Ich weiß nicht, warum er übergewichtig ist. Isst er zu viel? Oder isst er falsch? Ist er krank? Etc..

Das Etikett klebt nun aber auf dem Menschen.

Schon eine Körperfülle oberhalb der Norm führt in vielen Kulturen zu Ablehnung. Mit meinem Etikett füge ich nun noch ein weiteres Merkmal hinzu, welches ebenfalls abgelehnt wird.

Es ist bekannt, dass Menschen mit Übergewicht sich in vielen Fällen weniger körperlich betätigen, ungern ins Schwimmbad, ins Fitnessstudio, oder aber ins Freie gehen, als sogenannte Normalgewichtige. All das zu tun könnte aber dazu beitragen, dass der Grundumsatz steigt und Gewicht leichter abzubauen ist. Das Etikett „faul“ scheint also zuzutreffen.

Nur handelt es sich dabei nicht um eine objektive Betrachtung der Gesamtsituation und der Persönlichkeit des jeweiligen Menschen. In vielen Fällen besteht durchaus der Wunsch, Fitnessstudio oder Schwimmbad aufzusuchen, die Scham sowie die Angst vor Ablehnung sind jedoch oft so groß, dass die Betroffenen sich in ihrer Wohnung verkriechen und nicht nach draußen gehen mögen um sich zu "zeigen".

Sozialkontakte werden in vielen Fällen stark abgebaut oder beschränken sich auf soziale Medien.

Das Grundbedürfnis nach Kontakt wird nicht oder nur unzureichend gestillt und dieses unerfüllte Bedürfnis, diese Leere, wird mit kohlehydrathaltigen Lebensmitteln zu füllen versucht, welche für eine Serotoninausschüttung sorgen und damit vorübergehende Wohlgefühle auslösen.

Dies sorgt dann für noch mehr Gewicht und langfristig für Schmerzen und schnelle Ermüdung bei Bewegung. Hinzu kommt die Ablehnung von Außen.

Zudem beeinflussen der psychische Druck sowie die bestehende Etikettierung („fett“, „faul“) das Selbstbild des übergewichtigen Menschen: „Ich bin ja eh fett, da ist es doch sowieso egal...!“

So schließt sich der Kreis.

"Faul" und "fett" als Etiketten werden somit scheinbar immer wieder bestätigt und bestimmen dann wiederum den Umgang miteinander: Jemand der augenscheinlich aufgrund mangelnder Bewegung („Faulheit“) fett ist, wird ganz anders behandelt als solche Menschen, welche durch eine offensichtliche Erkrankung, also nicht durch eigenes Verschulden, übergewichtig sind.

 

Für Menschen, welche für ihre Situation nichts können, also schuldlos ausgeliefert sind, verspüren wir Mitgefühl und Verständnis. Unsere Emotionen gegenüber Menschen, die „selbst schuld“ sind an ihrer Situation, sind dagegen negativ geprägt. Von diesen Menschen erwarten wir, dass sie sich mehr bewegen und weniger essen sollen – schließlich können wir selbst das auch.

So kommt unter Umständen mit „mangelnde Disziplin“ ein weiteres Etikett hinzu.

Hier in Deutschland gehört „Disziplin“ aber durchaus zu den Grundwerten.

Wird einem Menschen also dieser fehlende Grundwert attestiert, sinkt er weiterhin im Ansehen! Der Druck auf übergewichtige Menschen steigt nochmals an und ihr Selbstbild verschlechtert sich immer mehr.

Das Label bricht also nicht nur eine ganze Persönlichkeit samt ihrer Lebensumstände auf ein einziges Attribut herunter, sondern bewirkt gleichzeitig, dass der Umgang mit dieser Person, die mitschwingenden Emotionen und Erwartungen, dementsprechend angepasst werden.

 

In der Soziologie werden Verhaltensweisen, welche von den gesellschaftlichen Erwartungen abweichen, und Labels wie zum Beispiel „Diebstahl“, „Schulverweigerung“, „Gewaltbereitschaft“ etc. tragen, auf ihre eigentlichen Ursachen untersucht.

Aber auch für den „Hausgebrauch“ können wir auf diese Art Attribute wie „stur“, „dickköpfig“, oder auch „frech“ und „unhöflich“ als von außen zugeschriebene Attribute enttarnen:

Nämlich immer dann, wenn wir nicht ein Verhalten neutral BEschreiben (der Hund buddelt), sondern ein Persönlichkeitsmerkmal wertend ZUschreiben (der Hund ist dickköpfig).

Vor allem in solchen Momenten, wo unser Gegenüber (Hund oder Mensch), nicht das tut, was wir erwarten, oder uns wünschen – wir also enttäuscht oder verärgert sind – neigen wir dazu, Verhalten quasi durch die getönte Brille unserer Bewertung zu betrachten.

Damit färben wir allerdings die Motivation, die dem Verhalten zugrunde liegt, gleich mit ein: Aus dem Hund, der buddelt, weil es Spaß macht, weil es da lecker nach Maus riecht, wird der dickköpfige Hund, der nicht hören will, dem wir einfach nicht wichtig sind, der das womöglich nur macht, um uns zu ärgern.

Wir wandeln durch unsere Bewertung also nicht nur ein Verhalten in ein Persönlichkeitsmerkmal um, sondern wir unterstellen außerdem noch eine bestimmte Motivation, einen Vorsatz.

Wir beginnen, das Verhalten unseres Hundes „persönlich zu nehmen“ und verändern so unsere eigenen Emotionen ins Negative: Aus unserem vergnügten Hundekumpel wird der dominante Hund, der seine Grenzen austestet.

Auf diese Weise landen wir schnell in der „Diagnosefalle“: Wir kleben das Etikett, mit dem wir eigentlich nur ein Verhalten beschreiben wollten, fest auf den Hund.

Das Mauseloch ist längst vergessen, wir haben jetzt einen dominanten Hund, ein Problem, gegen das wir unbedingt etwas unternehmen müssen – das hören wir immer wieder von Trainern, Tierärzten und den Leuten auf der Hundewiese.

Gebuddelt hat der Hund nur ein paar Minuten lang, dominant ist er rund um die Uhr, wir sind also andauernd mit einem Problem beschäftigt, das eigentlich nur hin und wieder einmal aufgetreten ist.

Das führt dazu, dass unsere Emotionen sich nachhaltig verändern: Es macht nicht mehr wirklich Freude, einfach nur Zeit mit dem Hund zu verbringen, wir sind verunsichert, weil es uns nicht gelingt, den Hund „vernünftig zu erziehen“, zweifeln an unserem Bauchgefühl und fühlen uns ständig von Menschen unter Druck gesetzt, die uns und unseren Hund kritisch zu beäugen scheinen.

Weil das Etikett aber nun einmal klebt, verwenden wir es für alle Situationen, in denen der Hund nicht das tut, was wir uns wünschen, oder von ihm erwarten.

Gleichzeitig hören wir auf, nach (anderen) Gründen für sein Verhalten zu suchen: „Er setzt sich nicht, weil er stur ist“, statt „er setzt sich nicht, weil er gerade zu aufgeregt ist, oder weil der Boden kalt und nass ist“.

Weil wir nicht mehr über die Gründe für sein Verhalten nachdenken, können wir sie nicht beseitigen und der Hund wird das Verhalten immer wieder zeigen.

Das Label bestätigt sich also immer wieder selbst und wird zur self fulfilling prophecy (sich selbst erfüllende Prophezeiung).

Mit dem Etikett, das wir in einem einzigen Moment aufgeklebt haben, verändern wir unsere Sicht auf unseren Hund und dessen Bedürfnisse, unsere Emotionen und damit auch unser Verhalten ihm gegenüber.

Unsere Beziehung wird merklich schlechter, die anfängliche Euphorie, mit der wir dieses Wesen liebevoll erziehen, zu unserem besten Freund machen wollten, verfliegt. Aus unserem lustigen Hundekumpel ist ein Problemhund geworden.

 

Was können wir stattdessen tun?

 

Jedes Mal, wenn wir ein einziges Attribut verwenden möchten, um ein Verhalten zu beschreiben, können wir uns fragen

  • was genau der Hund in diesem Moment eigentlich tut
  • was an seinem Verhalten uns stört, enttäuscht, oder ärgert
  • und ob es uns zum Beispiel immer stört, oder nur jetzt, in diesem Moment

 

Manchmal hilft es, das Ganze „umzudrehen“ und zunächst das Etikett genau unter die Lupe zu nehmen:

„Sie ist eine Prinzessin, er ist ein kleiner Tyrann“

  • Was genau stellen wir uns unter einer Prinzessin vor?
  • Was ist ein Tyrann und wie behandelt er seine Untertanen?
  • Passen diese Beschreibungen wirklich auf unseren Hund?

 

Wir können üben, das Verhalten unseres Hundes genau zu beobachten:

  • Wie sieht seine Körperhaltung aus: Kopf, Rücken, Läufe, Rute?
  • Wie bewegt er sich?
  • Wie sieht seine Mimik aus: Augen, Schnauze, Ohren?
  • Was für Laute gibt er von sich?

 

Wir können nach Auslösern für sein Verhalten suchen, prüfen, ob es Muster gibt:

  • Was ist in diesem Moment noch passiert?
  • Was kurz vorher?
  • Was an diesem Tag?
  • Lässt das Verhalten sich unterbrechen? Wie?

 

Und wir können Zusammenhänge erschließen:

Gibt es Lebensumstände wie Krankheit, Schmerzen, Stress, Veränderungen etc., die das Verhalten auslösen können?

 

Auf dieser Basis können wir überlegen, welches Verhalten wir in einer bestimmten Situation lieber sehen möchten und wie wir unseren Hund dabei unterstützen können, es zu zeigen.

Beispiel: „sitz“

  • Kann der Hund sich ohne Weiteres hinsetzen, oder hat er womöglich Schmerzen, findet die Haltung unbequem?
  • Kann er sich jetzt und hier hinsetzen, oder ist der Boden zu nass oder zu kalt?
  • Kann er sich konzentrieren, oder ist er gerade viel zu aufgeregt?
  • Hat er das Signal wirklich verstanden?
  • Habe ich das Signal in ausreichend vielen unterschiedlichen Situationen geübt?

 

Wenn ich nicht alle Fragen mit „ja“ beantworten kann:

  • Welches Verhalten könnte ich stattdessen abfragen?
  • Wie kann ich ihm langfristig helfen, das erwünschte Verhalten zu zeigen?
  • Aber auch: Ist es wirklich wichtig, dass er genau dieses Verhalten zeigt?

 

Das ist der Moment, in welchem Verhaltenstraining beginnt: Wenn ich aufhöre, mein eigenes Verhalten an vermeintliche Tatsachen („mein Hund ist ….!“) anzupassen und stattdessen das seine wertungsfrei beobachte. Wenn ich mir überlege, welches Verhalten ich gerne sehen würde (und warum eigentlich) und wie ich ihn darin unterstützen kann, dieses Verhalten zu zeigen.

Auf diesem Weg werde ich vielleicht nicht „Verhaltensprobleme in drei Übungseinheiten lösen“ (wie es die Werbung oft verspricht), aber ich werde eine Menge Verständnis für und Wissen über meinen Sozialpartner, Freund und Kumpel Hund erwerben.

Und – wenn ich ehrlich bin – nicht nur über ihn, sondern auch über mich und meine Mitmenschen.


Autorin: Nina Werner, http://www.hundeschule-rockingdogs.de

EIN HUND AUS DEM TIERSCHUTZ

Eine wunderschöne Aufgabe wartet auf dich, ein Hund wird bei dir einziehen!

Nach reiflicher Überlegung soll es ein Hund aus dem Tierheim sein. Du hast dich auch schon im Internet umgeschaut und den einen oder anderen Hund gefunden, der dir gefallen würde. Am liebsten würdest du gleich losfahren und ihn holen. Aber ob das richtig ist? Oder deine Liste ist inzwischen so lang, dass du dich gar nicht mehr entscheiden kannst.

Deshalb möchte ich dir hier ein paar Punkte an die Hand geben, die dir bei deiner Suche helfen, aber auch dazu beitragen werden, dass dein zukünftiger Freund und Mitbewohner wirklich zu dir und deinem Leben passt. Schliesslich werdet ihr viele Jahre zusammen verbringen.

Deshalb lass dir Zeit mit der Auswahl deines Hundes. Je besser ihr und eure Bedürfnisse übereinstimmen, desto harmonischer wird euer Zusammenleben sein.

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Weiterlesen: EIN HUND AUS DEM TIERSCHUTZ

Der ängstliche Tierschutzhund aus dem Ausland:

Wenn der Himmel auf den Kopf fällt.
Tipps, was man tun kann und tunlichst vermeiden sollte!

Ich schätze, 80% meiner Kundenhunde sind „gerettete“ Hunde aus dem Ausland, aus Rumänien, aus Bulgarien, Italien, Spanien… Von diesen 80% haben ca. 60-70% alle eines gemeinsam: Sie sind voller Angst, schreckhaft, sie haben Angst vor Menschen, oft vor Männern, vor Fahrrädern, vor Autos, vor Geräuschen aller Art, vor dem Gassigehen, vor anderen Hunden, einfach vor allem – davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Wiederum die Hälfte dieser Hunde hat gelernt, mit ihrer Angst offensiv umzugehen: Sie verbellen alles, sie gehen nach vorne, sie schnappen, sie beißen. Die andere Hälfte zieht den Schwanz ein, mag sich nicht herausbewegen und würde sich am Liebsten in Luft auflösen.

carolin3Inka Baurmann von den Hundehelden

Wie geht man jetzt mit diesen Hunden um? Welche Fehler im Umgang lauern? Was kann man von ihnen erwarten? Was sollte man nicht erwarten?

Weiterlesen: Der ängstliche Tierschutzhund aus dem Ausland:

Besucher unerwünscht! –
Vom richtigen Umgang mit Territorialverhalten

Dass Hunde Besucher oder auch Post- und Paketboten nicht ins Haus lassen möchten, kommt recht häufig vor. Nicht immer, aber sehr oft steckt Territorialverhalten dahinter. Es ist dabei wichtig zu wissen, dass territoriales Verhalten angeboren ist. Im Laufe der letzten Jahrhunderte haben Menschen territoriales Verhalten in manchen Hunderassen züchterisch verstärkt und in anderen gebremst, je nachdem, welche Aufgaben diese Hunde zu erfüllen hatten. Das bedeutet, es ist keine Unart, die der Hund sich angewöhnt hat, sondern es steckt in seinen Genen, ob er sich territorial verhält oder nicht.

Territorialverhalten

Im Klartext: Man kann Territorialverhalten nicht abtrainieren. Die gute Nachricht ist: Man kann lernen, gut damit umzugehen und sein Leben so gestalten, dass es keine Probleme bereitet.

Weiterlesen: Besucher unerwünscht! – Vom richtigen Umgang mit Territorialverhalten