Martina Maier-Schmid |
Ich habe als Pflegestelle und Adoptantin von Tierschutzhunden immer wieder selbst mit Hunden zusammen gelebt, die sich gar nicht oder nur ungern haben anfassen lassen. Auch als Trainerin begegnen mir immer wieder solche Hunde.
Zwischen „wasch mich, aber mach mich nicht nass“ und „ganz oder gar nicht“
Hunde sind so unterschiedlich in ihren Bedürfnissen und Verhaltensweisen, wie wir Menschen auch. Ich habe Hunde kennen gelernt, die sich gar nicht anfassen lassen wollen, weder vom eigenen noch von fremden Menschen. Davon zeigen einige sehr deutliches Abwehrverhalten, andere dagegen Meideverhalten. Wieder andere suchen durchaus die Nähe zum Menschen, wenn dieser dann aber aktiv kuschelt oder anfasst, hauen sie ab und meiden den Menschen, oder sie zeigen dann plötzlich Abwehrverhalten und schnappen z.B. ab. Es ist für ihre Menschen manchmal super schwierig, das richtig einzuschätzen oder zu verstehen. Und manchmal gibt es Hunde, die sehr aktiv auf Menschen zu gehen, so wirken, als ob sie Kontakt aufnehmen wollen, und dann doch keifen und abwehren.
Was kann dahinter stecken?
Es kann etliche Ursachen dafür geben, dass Hunde sich nicht anfassen lassen wollen. Einige davon will ich hier einmal auflisten.
Der Hund hat schlechte Erfahrungen mit Händen gemacht
Schlechte Erfahrungen mit Händen passieren nicht immer absichtlich und manchmal sogar unbemerkt. Wenn die Hand z.B. statisch aufgeladen ist und sich bei Berührung am Hund entlädt. Oder beim Kämmen wurde versehentlich an den Haaren geziept. Oder der Hund wurde in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, bei Pflegemaßnahmen festgehalten. Oder der Mensch hat hektisch nach ihm gegriffen bei Gefahr in Verzug.
Manchmal sind die Vorerfahrungen auch durch Trainingsmaßnahmen passiert, die beim Hund unangenehme Emotionen oder gar Schmerzen ausgelöst haben: Korrekturen durch ein Anfetzen wie bei einer Kopfnuss, Schläge mit der Handkante, zwicken, schnelles über den Fang greifen oder andere erschreckende oder schmerzende Einwirkungen. Wenn der Hund Hände damit verbindet, dass von ihnen unangenehme oder schmerzhafte Einwirkungen ausgehen, liegt es nahe, dass er Hände meidet. Und manche Hunde reagieren darauf auch mit deutlichem Abwehrverhalten. Das kann sich ausweiten auf jede Bewegung des Menschen.
Der Hund hat keine Erfahrungen mit Menschen
Hunden, die so aufwachsen, dass sie keinen oder kaum Kontakt zu Menschen haben, ist es schlicht fremd, dass sie angefasst werden. Sie lernen es quasi nicht kennen und alles, was fremd ist, kann eben zunächst auch mal Angst machen. Und das wiederum kann mit Meide- oder Abwehrverhalten beantwortet werden. Für diese Hunde sind frontale Annäherungen durch den Menschen eine Bedrohung. Wenn Menschen sich überbeugen, macht ihnen das schon Sorge oder Angst. Und für viele dieser Hunde ist die typische Lockhaltung des Menschen besorgniserregend.
Gesundheitliche Einschränkungen
Manchmal stecken auch einfach Schmerzen dahinter, etwa Verspannungen des Bewegungsapparates. Nicht immer sind diese im Ausdrucksverhalten des Hundes erkennbar, das heißt, man sieht gar keine Anzeichen wie Humpeln oder den Kopf schief halten oder ähnliches. Deshalb ist es sinnvoll, Hunde, die sich nicht anfassen lassen, auch einem Tierarzt/einer Tierärztin und Tierphysiotherapeuten/Tierphysiotherapeutin oder Tierosteopathen/Osteopathin vorzustellen.
Außerdem gibt es Erkrankungen, die den Stoffwechsel so beeinflussen, dass Angstverhalten – das kann Abwehr- oder Meideverhalten sein – wahrscheinlicher wird. Auch hier lohnt sich ein ganzheitlicher Blick auf den Hund und ggf. eine medizinische Abklärung und Versorgung.
Und nun? Was tun?
Der erste ganz wichtige Schritt ist es, den Hund beobachten zu lernen. Je früher man erkennen kann, dass der Hund sich unwohl zu fühlen beginnt, um so eher kann man die Situation so verändern und anpassen, dass sich der Hund wieder wohlfühlt. Eine Orientierungsmöglichkeit ist die Eskalationsleiter.
Es ist sinnvoll und wichtig, auch die Signale im grünen Bereich der Eskalationsleiter wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Auch wenn Hunde es aushalten, angefasst zu werden, fühlen sie sich dabei nicht wohl, wenn diese Signale zu sehen sind. Wenn die frühen Signale ignoriert werden und die Situation bestehen bleibt, ist es normal und nachvollziehbar, dass dann die nächsten Stufen der Eskalationsleiter gezeigt werden. Wenn man die frühen Signale, das Kleingedruckte der Körpersprache, nicht kennt oder bewusst nicht beachtet, muss der Hund quasi in Großbuchstaben kommunizieren und Abwehrverhalten oder massives Angstverhalten zeigen. Manche Hunde lassen auch einzelne Stufen aus oder zeigen die Stufen in einer sehr schnellen Abfolge.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht
Bei Hunden, die vorsichtig sind mit den eigenen oder fremden Menschen, scheint es irgendwie naheliegend, ihn aus der Hand zu füttern, damit er merkt, dass vom Menschen was Gutes kommt und Menschen nicht gefährlich sind. Bei diesem Vorgehen kann es sein, dass der Hund dabei in einen inneren Konflikt kommt. Er möchte gerne das Leckerchen haben und fühlt sich aber gleichzeitig dabei unsicher oder bedroht von dem Menschen. Wenn das Bedürfnis nach dem Leckerchen so groß ist, dass der Hund sich dann dem Menschen annähert, passiert es schnell, dass der Hund dann doch noch die Nerven verliert, wenn der Keks im Magen verschwunden ist. Vor allem dann, wenn der Mensch sich auch noch anfängt zu bewegen, kann das passieren.
Bei einigen Hunden ist dieser Konflikt auch körpersprachlich sehr gut zu erkennen. Die Hinterbeine bleiben stationär stehen, die Vorderbeine gehen immer weiter nach vorne, der Kopf streckt sich nach vorne. Der Hund streckt sich also, manchmal soweit wie es auch nur irgend möglich ist, manchmal nur ein kleines bisschen. Streched approached heißt das in Fachchinesisch. Wenn diese Körperhaltung zu erkennen ist, sollte man sofort den Keks aus der Hand fallen lassen und ein paar Schritte weggehen. Und die nächste Wiederholung anders gestalten.
Und wie dann?
Gerne möchte ich hier vorstellen, wie man mit einem „Rühr mich nicht an“ praktisch arbeiten kann. Ich möchte an dieser Stelle zur Sicherheit aller Beteiligten darauf hinweisen: Wenn ein Hund mit starkem Abwehrverhalten auf Menschen reagiert, ist es sinnvoll, sich beim Training durch einen Trainer/eine Trainerin aus der TsD-Liste unterstützen lassen, da Kleinschrittigkeit enorm wichtig ist. Ggf. sollte das Training auch mit einem Maulkorb abgesichert werden.
Wenn ein Hund vor der Nähe zu Menschen zurückschreckt, ist es sinnvoll, eine Annäherung nicht zu erzwingen und jede Annäherung in einer Kombination aus
- wenn ein Mensch sich nähert, bekomm ich was Tolles und
- dann geht der Mensch auch wieder
zu belohnen. Das bedeutet: Wenn der Hund freiwillig auf den Menschen zugeht, oder diesen vielleicht auch nur anschaut, wird das Markersignal gegeben und zum Beispiel super gute Leckerchen Richtung Hund geworfen. Oder aber, wenn die Armbewegung zu viel wäre für den Hund, einfach nur fallen gelassen und dann geht der Mensch weg. Das kann man bei fremden Menschen so machen, aber auch wenn die Nähe des eigenen Menschen ein Problem ist.
Wenn ein Hund vor den eigenen Menschen zurückschreckt, kann es auch sinnvoll sein, dass sich die Menschen ankündigen. Bei uns ist das ein „Ich bin´s“, dann taucht der Mensch auf. Wenn der Hund schaut, wird gemarkert und belohnt. Der Belohnungskeks fliegt zum Hund hin oder so weit weg, dass der Hund vom Menschen, der sich weiter annähert, weggehen kann, wie er es braucht, um sich wohl zu fühlen. In unseren Anfängen mit unserem Rüden haben wir auch angekündigt, dass wir nur vorbeigehen wollen und nicht in seine Nähe kommen werden. Auch da haben wir ihn nach der Ankündigung „ich will nur vorbei“ und einer Körperdrehung vom Hund weg so „weggekekst“, dass er in aus seiner Sicht sicherem Abstand zu uns Menschen sein konnte. Das schafft Sicherheit und eine gute Emotion, sobald der Mensch auftaucht. Denn immer, wenn der Mensch kommt, bin ich weiter in Sicherheit und außerdem bekomm ich noch was Tolles dazu. Die Unsicherheit und Angst dem Menschen gegenüber wird zunehmend kleiner und es kann immer mehr Nähe ausgehalten bzw. sogar genossen werden.
Viele Hunde suchen dann immer mehr die Nähe. Sie kommen vielleicht sogar und drücken sich an die Menschen oder legen sich neben den Menschen auf den Sofa. Diesen Körperkontakt können sie genießen. Das ist jedoch nicht immer gleichbedeutend damit, dass sie auch gestreichelt oder gekuschelt werden wollen. Manche Hunde können z.B. im Stehen Kuscheln ganz gut aushalten, aber liegend nicht. Manche können wach auch liegend kuscheln, aber wenn sie schlafen und dann angefasst werden, schrecken sie hoch und meiden oder schnappen ab. Unerwartete Berührungen lösen häufig Schreckreaktionen aus, übrigens auch bei uns Menschen. Grundsätzlich ist es eine gute Idee, sehr kleinschrittig und vorsichtig zu agieren, wenn es noch schwer ist, genau die Situationen zu benennen, die für den Hund noch zu schwierig sind.
Wenn Hunde die Nähe zu Menschen gut aushalten, aber nicht angefasst werden wollen, arbeite ich ebenfalls über Ankündigung. Das bedeutet, dass ich alle Handlungen, die mit Greifen nach dem Hund verbunden sind, ankündige. Anleinen, Ohren anschauen, Kuscheln, usw.. Das Prinzip kennt der ein oder andere vielleicht schon aus dem Bereich des Medical Training.
Kuscheln anzukündigen, erscheint vermutlich auf den ersten Blick etwas seltsam. Aber bei Hunden, die einfach nicht sicher sind, was das bedeutet und die leicht in Sorge geraten, ist es eine enorme Hilfe. Ankündigungen schaffen Erwartungssicherheit und bieten den Raum für freiwilliges Kuscheln des Hundes. Die Hunde wissen, was als nächstes auf sie zukommt und wie es weitergeht. Außerdem lernen sie, dass sie das Kuscheln auch beenden können, wenn es ihnen doch zu viel wird. Ich persönlich finde es eine Überlegung wert, ob es wirklich nötig ist, dass Hunde lernen, sich von fremden Menschen anfassen und kuscheln zu lassen. Oder ob es reicht, wenn sie lernen, dass der eigene Mensch sie anfassen kann und medizinische Untersuchungen durch den Tierarzt möglich sind?
Kuscheln ankündigen
Der Hund kann also schon in der Nähe des Menschen sein, dann fragt der Mensch „Kuscheln?“ und die Hand nähert sich dem Hund und zwar nur so weit, dass der Hund noch keine Konfliktsignale der Eskalationsleiter oder gar Meideverhalten zeigt. An dem Punkt wird gemarkert, belohnt und die Hand geht wieder weg. Wenn der Hund dabei entspannt bleiben kann, kann das auch zwei oder drei Mal wiederholt werden. Wenn der Hund bei der Ankündigung zuverlässig entspannt bleibt, kann man ein bisschen dichter mit der Hand an den Hund und so baut man das Schritt für Schritt weiter aus, dass die Hand sich dem Hund immer weiter nähert, bis sie irgendwann auf dem Hund liegt. Aber dann wird noch nicht gekuschelt, sondern die Hand liegt da einfach nur, das wird gemarkert und belohnt und auch dann geht die Hand wieder weg. Auch hier kann man wiederholen und erneut fragen „Kuscheln?“ Wenn der Hund nach der Ankündigung Konfliktzeichen der Eskalationsleiter zeigt oder Meideverhalten, markert man und die Hand geht wieder weg. Und die Übung ist beendet. Denn seine Signale sind eine wichtige Information, dass es dem Hund reicht und er nicht mehr weiter machen möchte. Wenn der Hund keine Konfliktzeichen zeigt oder sogar selbst zeigt, dass er gerne noch länger Kontakt haben mag, geht die Hand wieder zum Hund.
Im Laufe der Zeit lässt sich das ausbauen. Unser schwarzer Rocker lies sich zu Anfangszeiten nicht anfassen. Heute kann er kuscheln richtig genießen, fordert es sehr oft ein und kann es in immer mehr Körperbereichen zulassen und genießen. Es ist sehr beglückend zu erleben, wie Hunde dann von sich aus kommen und die Nähe zum Menschen suchen. Auch wenn der Weg anfänglich mühselig sein kann, lohnt er sich unglaublich.
Videolink https://www.youtube.com/watch?v=xA6loOtpeNM&t=4s
Autorin: Martina Maier-Schmid
Martina ist „Trainieren statt dominieren“-Trainerin, Mitglied im CumCane Netzwerk und geprüftes Mitglied im IBH e.V. Seit 2008 engagiert sie sich im Tierschutz und nimmt auch immer wieder als Pflegestelle Hunde bis zur Vermittlung ins endgültige Zuhause bei sich auf.
Kontakt:
https://www.hundeschule-tandem.de
Titelbild © Sabine Fehrenbach Fotografie